Montag, 27. August 2012

Notizen zur christlichen Mystik

Im Rahmen des Katechetischen (s. Label), was ich hier ab und an zu schreiben gedenke (vgl. Jahr des Glaubens), bisher aber erst zweimal getan hab. Diesmal aus einem Text, den ich vor scheinbar ewigen Zeiten einmal für jemanden schrieb. Das war grad am Beginn meines Theologiestudiums, ich bitte daher, Ungenauigkeiten zu Entschuldigen. ;)

Für Außenstehende, so auch für mich, bevor ich katholisch wurde, erscheint die Katholische Kirche bzw. der Katholizismus als Religion unheimlich verkopft, trocken, verstaubt und emotionslos. "Mystisch" war das letzte Wort, das ich damit in Verbindung gebracht hätte.
Bald lernte ich aber, dass das Herzstück des Katholischen, die Eucharistie, kondensierte, greifbare Mystik ist... "Mystik zum anfassen" (nur dass ich die Handkommunion bald schon unterließ, als ich mehr darber lernte); "Mystik scheibchenweise".

Gerade für Protestanten ist es oft interessant zu wissen, dass „protestantisch“ und „mystisch“ meistens (mit sehr wenigen Ausnahmen, wie etwa Dietrich Bonhoeffer) tatsächlich als Gegensätze betrachtet werden, und zwar hauptsächlich von den Protestanten selbst!
Adolf von Harnack, wohl der bedeutendste protestantische Theologe im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, schreibt im dritten Band von seinem Lehrbuch der Dogmatik folgendes: "Die Mystik ist die katholische Frömmigkeit überhaupt" (Hervorhebung von Harnack); ein Mystiker der nicht Katholik sei, so Harnack, sei "ein Dilettant" (1910, 434). "Die Mystik", so Harnack weiter, "wird man niemals protestantisch machen können, ohne der Geschichte und dem Katholizismus ins Gesicht zu schlagen" (ebd., 436). Bei Harnack ist die Mystik immerhin noch recht positiv gewertet, aber eben nicht Teil des Protestantismus. Bei Karl Barth, dem "evangelischen Kirchenvater des 20. Jahrhunderts" klingen die Töne schon anders; er betrachtet die Mystik als einen "Abfall von Gott" und sein Kollege Emil Brunner (den ich ansonsten durchaus zu schätzen weiß) stellt die Protestanten vor die Wahl: "Entweder die Mystik oder das Wort Gottes" (für einen Protestanten, für den ja dieses Wort, die Bibel, die einzige und höchste Autorität ist, sola scriptura, eine leichte Wahl).

Luther selbst und einige seiner Zeitgenossen waren noch deutlich mystischer Geprägt (Thomas Müntzer wäre hier zu nennen und besonders Jakob Böhme, der große Philosoph). Luther studierte u.a. in Klöstern, die sich der "devotio moderna" verschrieben hatten, einer im 14. Jahrhundert aufkeimenden mystischen Erneuerungsbewegung die bis Heute in der Kirche ihren Platz hat (z.B. die "Brüder vom gemeinsamen Leben"; die "Nachfolge Christi" von Thomas von Kempen ist auch eine Frucht davon). Diese mystischen Prägungen gingen aber leider Gottes ähnlich schnell verloren wie alles andere, was Luther noch an "Katholischem" beibehielt.

Was nun die Katholiken anlangt, liegt der Anfangs zitierte Harnack m.E. ziemlich richtig mit seiner Einschätzung, denn die Mystiker hatten, besonders im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, einen ganz enormen Einfluss auf den Werdegang und die Identität der Kirche. Katharina von Siena war nicht nur "die größte Frau der Christenheit" (glaubt man den Italienern), sondern sie war wohl auch eine der größten Mystikerinnen. Sie hatte sich nach eigenen Aussagen in einer Vision mystisch mit Jesus vermählt und hat mit ihm ihr Herz getauscht (ein sehr bekanntes Motiv in der Kunst; die "Herz-Jesu Mystik" ist noch Heute recht weit verbreitet).
Andere wichtige und bekannte Persönlichkeiten sind z.B. der Heilige Franz von Sales, Franziskus von Assisi, Ignatius von Loyola, Teresa von Avila, natürlich Hildegard von Bingen und Meister Eckhart und Juan de la Cruz. Letzterer wurde, als der tiefe Mystiker der er war, 1926 sogar zum Kirchenlehrer ernannt, was durchaus eine bedeutende Auszeichnung ist, gab es doch in den 2000 Jahren der Kirchengeschichte nur 33 Menschen, die den Titel "Kirchenlehrer" zuerkannt bekamen; unter ihnen erstaunlicherweise auch einig Frauen (z.B. die erwähnte Katharina) und weitere Mystiker(innen).
Tatsächlich ist es so, dass man die Kirche als den "mystischen Leib Christi" bezeichnet. Und das ist keine fromme Floskel  (vgl. Röm 12,5)! In der frühen Kirche bezeichnete man auch die Eucharistie als "mystischen Leib Christi".

Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass der erste christliche Mystiker wohl Jesus selbst gewesen ist, der tatsächlich so etwas wie eine "Christusmystik" gelehrt hat. Ich denke da z.B. an die vielen Ermahnungen, die Menschen sollen ihn Lieben, mit ihm und in ihm "eins sein", sein "Fleisch essen" etc. Jesus betet zum Vater: "Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein" (Joh 17,21). Wenn das keine Mystik ist, weiß ich auch nicht... Überhaupt redet die Bibel oft oft vom himmlichen "(Hochzeits)Mahl" (Offb 3,20; 19,9) und die ganze Bibel ist durchzogen von dem Bild, dass Gott (der Bräutigam), sich mit den Menschen (der Braut) vermählt (oft mit Jerusalem als Symbol für die Menschheit): "Wie der junge Mann sich mit der Jungfrau vermählt, so vermählt sich mit dir dein Erbauer. Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich." (Jes 62,5; vgl. Offb 21,2) So groß ist die Liebe! Das "Hohelied der Liebe" im Alten Testament wird auch in aller Regel so verstanden (ganz besonders schöne Passage: Hl 4,1-15). Auch die Hoffnung der Urchristen richtet sich auf "die Ankunft Jesu Christi, unseres Herrn, und unsere Vereinigung mit ihm" (2Thess 2,1).
Wie angesichts dieses Befundes irgendein Christ nicht Mystiker sein kann oder will, ist mir schleierhaft.

Der genannte Johannes vom Kreuz († 1591) ist besonders für seine intensive Vermählungsmystik bekannt.
Hier mal ein Beispiel aus seiner mystischen Lyrik:
Lebend'ges Liebesfeuer, 
Das mit so süßem Leide 
Verwundet meiner Seele tiefsten Gründe! 
Vollend, und diesen Schleier 
- Hast ja an Stolz nicht Freude -
Zerreiß in Huld, daß jede Trennung schwinde.


Die Vermählungsmystik ist gewissermaßen der Kulminationspunkt aller christlichen Mystik. Doch es geht noch weiter.
Nicht nur versteht sich die christliche (katholische) Kirche als "mystischer Leib Christi", auch das Leben in dieser Kirche ist nur so durchsetzt von Mystik.
Bestes Beispiel hierfür sind die Sakramente der Kirche, die ihr Leben und Wirken in höchstem Maße verwirklichen. Diese Sakramente werden verstanden als "aus der Seite Jesu entsprungen"; jene Seite, die bei der Kreuzigung mittels einer Lanze durchbohrt wurde und aus der Blut und Wasser (= die Sakramente der Kirche) flossen (Joh 19,34). Das an sich ist schonmal ein mystisches Symbol (die Wunde als Quelle der Gnaden, als Quelle der Kirche). Wenn man jetzt aber noch bedenkt, dass in der orthodoxen Tradition das, was wir im Westen als "Sakramente" kennen, mit dem Wort "Mysterium" bezeichnet wird (synonym!), sollte jedem klar sein, wo Mystik in der Kirche zu finden ist... überall!
Und das bringt uns zurück zur Vermählungsmystik: Das ganze Leben und Wirken der Kirche, sei es in den Sakramenten, sei es außerhalb (z.B. in der Mission oder der Caritas), zielt letztlich ja auf dieses Hineingenommenwerden in Gott ab. Die Sakramente geben dabei in überfließendem Maße Anteil an dieser "Ausrichtung" und verwirklichen sie.
Wenn der Katholik zur "Kommunion" geht, geschieht das nicht von ungefähr, denn er tritt dadurch in die Gemeinschaft, "communio", mit Gott ein. Und nun ist es ja so, dass nach katholischem Glauben dieses Brot und dieser Wein den man dort empfängt, in seiner (metaphysischen) Substanz gar nicht mehr Brot und Wein ist, sondern Leib und Blut Christi! Es handelt sich also um eine geradezu substanzielle (leibliche) Anteilnahme an Gott (Jesus Christus) selbst.

Wichtig hierbei ist nun aber, dass wir den Unterschied zwischen der fernöstlichen Mystik und der christlichen Mystik festhalten. Diese beiden unterscheiden sich nämlich fundamental.
Während in der östlichen Mystik (und ebenso in sämtlicher Esoterik) die Methode, die Technik (oder Praktik) essentiell ist; die entscheidende Instanz für das "Gelingen" des mystichen Weges also der einzelne Mensch selbst ist (der Meditierende ist also, so widersinnig das klingt, der Akteur, der sich selbst mystisch zu entrücken sucht), gibt es im christlichen Verständnis nur bedingt etwas, was der Mensch zur Erlangung mystischer Erfahrungen beitragen kann. Das hängt freilich (logischerweise) damit zusammen, dass es im Christentum ja ein personales (und treues!) Gegenüber gibt. Das Ziel ist nicht ein das Individuum auflösendes Nirvana, sondern das Hineingenommensein in Gott, das ewige Leben in der Gemeinschaft mit ihm. Dieser Gott, der jeden von uns beim Namen ruft (s.o.), ist der Akteur. Das wird aus den Ursprüngen umso klarer: Gott hat sich Offenbart und zu den Menshen gesprochen. Er hat uns zuerst geliebt. Jesus gründet seine Forderung nach Liebe darauf, dass er es zuerst getan hat: "Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben." (Joh 13,34)
Der "Vorteil" dabei ist, dass diese Gottesbeziehung jeden Menschen in gleicher Weise angeht. Während man im Buddhismus schon ein eheloser Mönch sein muss, um sich ganz auf die Perfektionierung der richtigen Technik konzentrieren zu können, kommt der Gott, wie ihn die Christen kennen, jedem Menschen entgegen und will jeden zu sich ziehen und in sich hineinnehmen. Nach katholischem Verständnis (und sogar im Kirchenrecht in Form eines Gleichheitsgrundsatzes festgeschrieben), herrscht nicht nur bei der, jedem Menschen eigenen Würde Gleichheit unter den Gläubigen, sondern auch in ihren Tätigkeiten: das was ein beliebiger Laie tut ist nicht weniger wert als das, was ein Priester, ein Bischof oder ein Papst tut. Ist auch folgerichtig, denn es ist ja Gott, der anspricht und befähigt.
Diese erste Initiative Gottes ist der Grund, warum so viele Heilige ihre größten Gottesbegegnungen erlebten, noch bevor sie überhaupt zu ihrem "heiligmäßigen" Leben fanden. Oder konkreter: Das ist der Grund, warum es soetwas wie eine Bekehrung gibt: Der Anruf Gottes, der jeden Menschen unbedingt und unmittelbar angeht, wird gehört und beantwortet.
Die christliche Mystik ist im wahrsten Sinne also für jeden da, ist grundlegendes Moment katholischer Praxis (v.a. in den Sakramenten) und ist begründet auf der Hinwendung Gottes zu uns und seinem Anklopfen an unsere Pforten.

In der Lebensbeschreibung des Heiligen Franziskus wird Folgendes berichtet, als er in der Nähe der verlassenen S. Damiano Kirche vorüberging: "Er trat vom Geiste geführt ein, um zu beten, und warf sich demütig und voll Hingabe vor dem Gekreuzigten Nieder. Da ward er von ungewohnten Heimsuchungen des Geistes betroffen und fühlte sich ganz anders, als er eben noch bei seinem Eintritt gewesen." Daran schließt sich die Vision des sprechenden Kreuzes an.
Diese kurze Passage zeigt, wie das mystische Erleben im Christentum vonstatten gehen kann: Es ist nicht das eigene Können, das eigene Engagement von Bedeutung. Der Mensch bringt sich (in seiner Freiheit!) dar, öffnet sich in Demut und Hingabe für das Wirken des Höchsten, sodass dieser es ist, der antreibt und durch den Menschen handelt ("im Geiste"). Das Höchste der Mystik ist freilich die unmittelbare Gottesschau oder andere Formen der Einung mit Gott, wie eben die erwähnte mystische Vermählung.

Nicht nur ist nach den Berichten großer Heiliger (Mystiker, Kirchenlehrer) das ganze Leben des Christen ein mystisches Hinwenden zu Gott, es ist dadurch freilich auch ein Kampf, denn unsere Schwachheit hält uns viel zu oft davon ab, diesem Ruf zu folgen. So warnt uns denn auch Jesus ausdrücklich, uns nicht von den Sorgen des Alltags (Lk 21,34) abhalten zu lassen, von dem beständigen Streben nach der (mystischen) Vereinigung mit ihm...
"Die Mystik ist die katholische Frömmigkeit überhaupt"...

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