Dienstag, 3. Januar 2017

Kranke Theologie 2

Ich setze für das Folgende den vorherigen Beitrag voraus (den hier). Nun hat Frau Regina Polak, die vor Weihnachten mit ihrer These von der "Häresie der Menschwerdung" Furore machte, sich wieder geäußert. Sie gesteht ein, dass ihre argumentative Spitze, eben jene mit der Härtesie, falsch gewesen sei. Sie spricht in ihrer "Entschuldigung und Klarstellung" (hier) von einem Mangel an Sensibilität ihres ersten Beitrags. Na immerhin.

Leider offenbart sich in ihrer Klarstellung wiederum die gleiche Krankheit wie in ihrem Beitrag im Pfarrblatt. Es ginge ihr nicht um die Infragestellung des Dogmas, sondern um "beobachtete [problematische] Wirkungen dogmatischer Begriffe".
Zunächst sei noch darauf hingewiesen, wie bezeichnend es für die heutige Theologie, zumal die Pastoraltheologie, ist, dass sich eine Pastoraltheologin anschickt, ein solches Thema in einem Beitrag in einem Pfarrblatt vor Weihnachten zu platzieren. Das ist nicht nur "zu wenig sensibel", wie sie schreibt, das ist einfach irrsinnig! Davon abgesehen, wird dieses vorgebliche Anliegen in ihrem Beitrag keineswegs deutlich, was der Autorin auch kein gutes Zeugnis ausstellt... der Beitrag im Pfarrblatt bietet eine Deutung von Weihnachten, die die Vorstellung von der Menschwerdung einen Irrtum nennt - nicht eine Auseinandersetzung mit "Wirkungen dogmatischer Begriffe".

Es wird auch in der Klarstellung deutlich, wie sehr die Theologie ihre eigene Identität vergessen hat: Im vorigen Beitrag habe ich den Hochmut angesprochen, der Theologen dazu bringt, den Glauben nurmehr als Modelliermasse zu sehen, die entsprechend den aktuellen Erfordernissen oder Meinungen zu formen sei. (Diese Art, Theologie zu treiben, steht zur "richtigen" Theologie in einem ähnlichen Verhätnis, wie die Esotherik zur Naturwissenschaft: Hier wie dort werden je nach Bedarf gefühlsgeleitete Behauptungen aufgestellt, die im Widerspruch zur konstituierenden Grundlage der Wissenschaft stehen.) Bei dem beschriebenen Hochmut handelt es sich um die eine Seite einer Medaille, deren andere Seite nun in Frau Polaks Klarstellung deutlich wird: Die Vernachlässigung von dem, was Theologie eigentlich zu tun hat, nämlich die Erklärung, die Verständlichmachung des Glaubens.
 
Zwar scheint es auf den ersten Blick so, als ob Frau Polak genau dies nur tun möchte (wobei sie es in ihrem Pfarrblattsbeitrag aber faktisch nicht tat!), aber bei genauerem Hinsehen merkt man, dass dies nicht stimmt. Sie möchte den Begriff "Menschwerdung" hinterfragen. Aus dem Wortlaut ihre Beitrags wird ersichtlich, dass sie ihn faktisch aber in Frage stellt. Und auch die nun veröffentlichte Klarstellung ändert daran nichts (es bleibt nur bei ihrer Versicherung, sie wolle den Glauben nicht in Frage stellen).
Polak spricht also von Missverständnissen, die aus dem Begriff resultieren könnten, wie die Vermutung, wir Christen würden an zwei Götter glauben oder eine vermeintliche Nähe zu außerchristlichen Inkarnationsmythen: 
»als Kurzformel kann das deutsche Wort 'Menschwerdung' eben problematische Bilder und Missverständnisse erzeugen und praktisch schwierige Folgen haben.«

Ich finde es erstaunlich, dass Frau Polak offenbar glaubt, hier ein ganz neues Problem vor Augen zu haben, dem sie sich nun mutig zu stellen habe, indem sie den Begriff "Menschwerdung" kritisch beäugt. Tatsächlich ist aber die Vorstellung von der Menschwerdung Gottes schon immer auch "problematisch" und "missverständlich" gewesen! In nahezu allen Kulturen, besonders in der das frühe Christentum umgebenden griechisch-römischen Welt, waren solche ähnlichen Vorstellungen (die letztlich immer das Motiv haben, der Gottheit inne zu werden, ihr nahe zu kommen) allgemein bekannt, wie die Erfahrungen des Apostels Paulus in Lystra zeigen (Apg 14), als er und Barnabas von den Leuten für herabgestiegene Götter gehaltern wurden. Entweder weiß Frau Polak nicht, dass dies schon immer eine Thema christlicher Theologie war, oder es ist ihr egal. 

Frau Polak verortet offenbar das Problem lediglich in dem "deutsche[n] Wort Menschwerdung", während für sie die Inkarnation ("Fleischwerdung") kein Problem darzustellen scheint. Tatsächlich ist in manchen Sprachen eher das Wort von der Inkarnation gebräuchlich (etwa im Englischen), während im Deutschen dafür meist der Begriff "Menschwerdung" gebraucht wird. Aber hier nun den einen Begriff gegen den anderen auszuspielen, ist töricht und theologisch äußerst kurzsichtig. Im Credo stehen diese beiden Begriffe nämlich stets zusammen, wie es etwa im Nicänischen Glaubensbekenntnis äußerst prägnant heißt: "der um unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden ist" (Lateinisch: incarnatus est et homo factus est; Griechisch in der knappsten möglichen Form, nämlich in nur zwei auf einander folgenden Worten: σαρκωθέντα, ἐνανθρωπήσαντα; DH 125). Auch vor Nicäa findet sich die explizite Rede von der Menschwerdung in Bekenntnissen und Kirchenordnungen. In unserem heutigen "Großen Glaubensbekenntnis" (Nicäno-Konstantinopolitanum) etwas wortreicher: "Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine, et homo factus est."
Es handelt sich also 1. nicht um ein "Deutschproblem", weil die ganze Kirche aller Sprachen (und Zeiten) von der "Menschwerdung" spricht (und sprach); und 2. gehört beides zum Glaubensbekenntnis dazu, das eine nicht ohne das andere. Auch der von Polak so geschätzte Johannesprolog spricht zwar nur von der Fleischwerdung (σὰρξ ἐγένετο), aber auch wenn die Vokabel "Menschwerdung" fehlt, wird doch aus dem Text überdeutlich, dass diese Inkarnation nur einen Menschen meinen kann: Jesus Christus, der einziggezeugte vom Vater, der im Schoß des Vaters ruhte und Kunde gebracht hat (Joh 1,17-18).

Die Frage, die sich Frau Polak hätte stellen müssen, bevor sie ihren Beitrag für das Pfarrblatt schrieb, und die sich eigentlich jeder Theologiestudent in den ersten paar Semestern ausführlich stellen müsste, könnte etwa so lauten: Warum haben die Christen stets an ihrem Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes festgehalten, obwohl dies immer schon auch zu Missverständnissen führen konnte? Sie wäre bestimmt auf interessante Antworten aus 2000 Jahren Theologiegeschichte gestoßen!

Und hier kommt jene andere Seite der Medaille Hochmut zum Vorschein, nämlich die Vernachlässigung dessen, was Theologie eigentlich tun soll: Anstatt dieses ständige und gegen alle Widerstände festgehaltene Bekenntnis der Kirche für die Menschen im Heute verständlich zu machen, stellt die Theologin Polak kurzerhand das Bekenntnis in Frage und sucht nach Alternativen. Sie weicht ihrer eigentlichen Aufgabe, zumal als Pastoraltheologin (quasi an der Schnittstelle von Theorie und Praxis des Glaubens arbeitend!) also aus.
Das erinnert an jene Theologen, die den Begriff "Laie" abschaffen wollen, weil der heute missverständlich ist... (Gleichzeitig ist seit dem Vaticanum II allüberall mit viel politischem Pathos vom "Volk Gottes" die Rede... das Wort "Laie" aber kommt vom griechischen "laos", was genau dies heißt: Volk. Ein Laie ist also jemand, der zum Volk [Gottes] gehört... das Wort schafft man nicht ab, sondern man erklärt es!).

Es wirkt schon wie Hohn, wenn Polak schreibt: 
»Sind die geglaubten Glaubensformeln tatsächlich spirituell verwurzelt und intellektuell durchdrungen?«

Nein, sind sie nicht. Aber es wird nicht dadurch besser, dass wir diese "Glaubensformeln", relativieren, ausrangieren und rechtzeitig zu Weihnachten als "Häresie" abstempeln! Es ist durchaus aufschlussreich, wenn Polak in ihrer Klarstellung schreibt: Der "kirchlich geglaubte Glaube" "kann" sich "mit dieser Wendung von der 'Menschwerdung'" "auch" verbinden. Faktisch steht aber diese Begriff im Zentrum des kirchlichen Glaubens! Polaks Beitrag im Pfarrblatt der Wiener Dompfarrei wie auch ihre Klarstellung sind Symptom jener Krankheit, wegen der der Glaube immer mehr erodiert und nichts mehr recht verstanden wird, er trägt gerade nicht zu einer Besserung bei. Polak konfrontiert die Menschen nicht mit dem Anstößigen (skandalon) des Glaubens und sucht es verständlich zu machen, sondern sie schleift mit viel Elan alle Ecken ab, an denen man sich stoßen könnte, bis alles rund und leer... Paulus dazu: 
»Sie stießen sich am "Stein des Anstoßes", wie es in der Schrift heißt: Siehe, ich richte in Zion einen Stein auf, an dem man anstößt, einen Fels, an dem man zu Fall kommt. Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« (Röm 9,32-33)


Eine ausführliche Auseinandersetzung mit außerchristlichen Götterinkarnationen und dergleichen findet sich z.B. bei Alois Riedmann, "Die Wahrheit des Christentums" Bd. 2 (Die Wahrheit über Christus. Ein religionsgeschichtlicher Vergleich), Freiburg 1951.

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