Freitag, 19. September 2014

Ratzingers Einwurf zur Debatte

eme|ri|tiert
Die Synode naht, die Lager bringen sich in Stellung, die Druckerpressen und Server laufen heiß.

Im Folgenden soll es kursorisch um einen Text von Joseph Ratzinger aus dem Jahre 1972 gehen, auf den sich Kardinal Walter Kasper in seinem "Evangelium von der Familie" ganz wesentlich stützen möchte (da hat er nahezu alle seine "Argumente" her - wobei er jedoch einiges verdreht). Ich habe diesen Text bereits in Teil 5 meiner kleinen Serie über "Dürftige Theologie" (hier) beiläufig erwähnt und wollte ihn, schon seit der Text von Kasper kurz nach dem Konsistorium öffentlich wurde, besprechen.
Ich will mich auf ein paar wichtige Punkte beschränken. [Leider ist der Text recht entlegen und sehr schwer zu bekommen, da er nur in einer einzigen Veröffentlichung zu finden und diese - natürlich - schon lange vergriffen und nie neu aufgelegt worden ist: J. Ratzinger, Zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe. Bemerkungen zum dogmengeschichtlichen Befund und zu seiner gegenwärtigen Bedeutung, in: F. Henrich/V. Eid (Hg.), Ehe und Ehescheidung, München 1972, 35-56.]

Kardinal Kasper hat es geschafft, das was Ratzinger aus Bibel und Väterzeit zusammengetragen hat, teilweise ins gefühlsmäßige Gegenteil zu verkehren oder zumindest arg zu beschönigen (weniger blumig ausgedrückt: Kasper verschweigt einiges!). So stellt Ratzinger etwa den Väterbefund wiefolgt dar: 
»Über die völlige Unmöglichkeit der Trennung einer christlichen Ehe, die zur Wiederverheiratung zu Lebzeiten des Gatten führen könnte, sind die Väter in Ost und West von Anfang an durchaus einig; irgendwelche Anzeichen für eine gegenteilige Auffassung in den beiden Hälften der Kirche lassen sich nicht finden. Das Zeugnis ist klar.«
Sogleich merkt der Theologe Ratzinger aber auch an: 
»Unterhalb der Schwelle der klassischen Lehre, sozusagen unterhalb oder innerhalb dieser eigentlich die Kirche bestimmenden Hochform, hat es offensichtlich immer wieder in der konkreten Pastoral eine geschmeidigere Praxis gegeben, die zwar nicht als dem wirklichen Glauben der Kirche ganz konform angesehen, aber doch auch nicht schlechthin ausgeschlossen wurde.« 

Interessant ist nun, dass Ratzinger sehr wohl um die Gefahr solcher "Geschmeidigkeit" weiß, wenn er über den Phänotyp der orthodoxen Praxis schreibt:
»Die Möglichkeit am Rande wird zu einer Alltäglichkeit und verdeckt damit in der Praxis, was in der Lehre als Hochform und Grundform weiterhin gilt.«
Zu Deutsch: Die "zweite Ehe" bleibt ein schweres Vergehen gegen göttliches Gebot (vgl. zur orthodoxen Praxis: hier). Außerdem betont Ratzinger wiederholt - im Einklang mit seiner wichtgsten Quelle: Origenes - dass solch eine Praxis schriftwidrig ist (was Kasper unredlicherwesie bei seinem Pochen auf Origenes verschweigt; siehe meine Behandlung von "Kaspers Origenes" hier).

Ratzinger vergisst auch nicht zu bemerken, dass die so genannte "Unzuchtsklausel" bei Matthäus (vgl. mein Text dazu hier) von niemand geringerem als Martin Luther, wohmöglich zum ersten mal überhaupt, als Legitimation einer Wiederheirat ausgelegt wurde.
Er stellt zwar summierend fest, dass die Kirche in ihrer Praxis zuweilen "unterhalb der Schwelle des Schriftwortes beginnen" müsse und spricht, wie dann später Kasper, von "Ausnahmen zur Vermeidung von noch Schlimmerem" - Ausnahmen freilich, die "den Charakter [...] der Hilfe in dringlicher Not" aufweisen, wie etwa "die missionarische Übergangssituation, aber auch die reale Notsituation der Kirchenunion" -, aber im Unterschied zu Kasper stellt Ratzinger durchaus kritisch fest:
»Damit aber entsteht die praktische Frage, ob man eine derartige Notsituation in der Kirche der Gegenwart benennen und eine Ausnahme beschreiben kann, die diesen Maßstäben genügt.«

Ratzingers Antwort auf diese kritische Anfrage ist im Wesentlichen das, was Kardinal Kasper vorschlägt (erste Ehe irreparabel, neue Verpflichtungen etc.), allerdings mit deutlich mehr Vorsicht formuliert. Und, wie gezeigt, gibt Ratzinger, anders als Kasper, den Väterbefund wahrheitsgetreu wider.

Das häufig vorgebrachte Argument des "Todes der Ehe" beschreibt Ratzinger in seinem Traktat als
»die Auflösung von Sein und Bewußtsein, bei der nur das im Bewußtsein des Menschen Anwesende auch als für ihn wirklich gilt (was aber praktisch einen Rückfall in die vorchristlich-römische Konsensualtheorie bedeutet: Wenn der Konsens zu bestehen aufhört, so sagt diese, dann hat die Ehe zu bestehen aufgehört). Theorien wie die, eine Ehe könne eben tot sein und existiere dann nicht mehr, sind Formen dieses Phänomenologismus, der den Menschen auf sein bewußtsein reduziert und ihm damit eben jene Tiefe verdeckt, die ihm der Glaube öffnen will.«

Demgegenüber stellt Ratzinger fest:
»Das Ja der Ehe hat in der Kirche teil an jener Endgültigkeit, die in der endgültigen Entscheidung Gottes für den Menschen zugleich als Möglichkeit des Menschen sichtbar geworden ist. [...] Die Ehe gehört zu jenen Grundentscheidungen menschlicher Existenz, die nur ganz oder gar nicht gefällt werden können, eben weil darin der Mensch als ganzer, als er selbst im Spiel ist, bis in jene Tiefe hinab, in der er von Christus angerührt, verwandelt, in sein am Kreuz geöffnetes und uns allen offenes Ich hineingenommen ist. Dies ist gemeint, wenn wir die Ehe "Sakrament" nennen.«


Es muss angemerkt werden, dass Joseph Ratzinger seit dieser Zeit das getan hat, wozu die meisten (v.a. deutschen) Theologen nicht in der Lage sind: Er hat dazugelernt. Er hat seinen Standpunkt seinem Erkenntnisfortschritt angeglichen und entsprechend geändert. Kurioserwesie wirft man ihm darum Inkonsistenz und Wankelmütigkeit vor, obwohl es eigentlich ziemlich klar ist: Er ist ein Mensch und hat sich irren können - und hat sich hi und da auch mal geirrt und seine Position in Verantwortung vor Gott, der Kirche und seinem Gewissen entsprechend geändert. Dass die meisten seiner Kollegen nicht den Mut haben, sich selbst (geschweigedenn anderen) dies einzugestehen, ist traurig. Das Hochhalten einer Idee bis zum Schluss, egal wie haltlos sie mit der Zeit wird (das Reiten toter Pferde), das ist, nicht nur unter Theologen, typisch deutsch.

Es spricht im Übrigen nicht gerade für Walter Kasper, dass er einen großen Namen zur Unterfütterung seiner Thesen heranzieht in dem vollen Bewusstsein, dass dieser große Name seit langem und wohlbegründetermaßen von der herangezogenen Position abgerückt ist. [Hilfreich ist hierzu jener Text, den der damalige Präfekt der Glaubenskongregation 1998 einer von der Kongregation veröffentlichten Sammlung von Studientexten zum hier behandelten Thema einleitend beigefügt hat (hier nachzulesen), der bereits 2011 vom Osservatore Romano aus der Versenkung geholt wurde (siehe hier) und der auch seit Kaspers Referat wieder im Umlauf ist.] Auch die nunmehr drei Interviewbücher geben hilfreiche Auskünfte.
Die Tatsache, dass Joseph Ratzingers Denken eine deutliche und zugleich konsequente Entwicklung durchgemacht hat, wobei er sich selbst (und Gott und seiner Kirche) stets treu geblieben ist, ist der Hauptgrund, warum er ein so bedeutender und großartiger Theologe ist! Der oft behauptete radikale, fast pathologische Gesinnungswandel während der 68er ist eine (sehr gut vermarktete, und darum inzwischen leider fast zum common sense avancierte) Erfindung von Hans Küng (das weiß ich mit ziemlicher Sicherheit, weil ich mich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit eingehend mit Ratzingers Schriften vor diesem "Termin" befasst habe und auch ein großer Fan seines Schaffens seit dem bin).




Noch eine aktuelle Anmerkung dazu (und den Titel dieses Beitrags rechtfertigend): In Theologenkreisen wird bereits seit einigen Wochen geflüstert, dass in dem im November herauskommenden Band 4 der "Gesammelten Schriften" von Joseph Ratzinger (der u.a. seine "Einführung in das Christentum" enthalten wird, wovon der Band auch seinen Titel nimmt) auch der oben behandelte Text zum Problem der zivil Wiederverheirateten mit aufgenommen werden soll (der Untertitel des Bandes "Bekenntnis - Taufe - Nachfolge" weist darauf schon hin: Es werden auch Texte aufgenommen, die die christlichen Stände betreffen). Das Pikante an der Sache: Es heißt, der emeritierte Papst habe diesen Text (irgendwann zwischen Februar und August 2014) für die Neuveröffentlichung persönlich einer Bearbeitung unterzogen.

Das provoziert natürlich die Frage, wie das mit der Erklärung des emeritierten Papstes vereinbar ist, sich ganz dem Gebet zu widmen. Klar hat sich der Emeritus im vergangenen Jahr schon einmal in einen akademischen Diskurs mit einem bekannten italienischen Atheisten begeben, insofern ist er bereits aktiv gewesen. Aber diese Episode ist doch wohl eher als akademisches Geplänkel zu verbuchen. 
Es ist an sich schon fragwürdig, hier eine Bearbeitung vorzunehmen, denn akademisch gilt: quod scripsi, scripsi. Ob dann in dem Band - der akademischen Redlichkeit wegen - auch das Original von '72 beigegeben werden wird, ist mir nicht bekannt.  
Für problematisch halte ich das v.a. deshalb, weil es hier - im Unterschied zu dem philosophischen Geplenkel mit Odifreddi - um ein brandheißes Thema geht, das die Kirche in Aufruhr gebracht hat, weil es sie selbst in ihrem (sakramentalen) Kern betrifft (so absurd es auch ist, dass die Bischofssynode ständig darauf reduziert wird). Eine Bearbeitung einer früheren Wortmeldung dazu (noch dazu einer so heiklen und seit dem von interessierter Seite immer wieder gern instrumentalisierten) hat notwendig den Effekt, dass sie als eine Wortmeldung zur aktuellen Debatte wahrgenommen wird. Und das sollte aufhorchen lassen: Ein Einwurf eines emeritierten Papstes zu einer der entscheidenden und weitreichendsten doktrinellen Fragen, denen sich die Kirche derzeit in ihrem Ringen um die Wahrheit stellen muss. (So abstrus das auch ist... das eigetliche Problem ist nämlich kein lehrmäßiges, sondern ein pastoral-katechetisches.)

Auf den ersten Blick scheint das lehramtlich kein Problem zu sein: Benedikt XVI. ist nicht mehr Papst und seine Äußerungen zu diesem Thema haben für das Lehramt nicht mehr Gewicht als die irgendeines anderen Theologen im Kardinalsrang. Aber de facto ist er ja nicht nur ein Theologe im Kardinalsrang, sondern er ist jene theologisch und kanonistisch noch recht unbekannte Institution mit dem Namen "emeritierter Papst"; er trägt nach wie vor die weiße Soutane und den Papstnamen - kein Kardinal tut dies.
Zudem hat es einen merkwürdigen Beigeschmack, wenn der Emeritus in seiner Bearbeitung Walter Kasper, der von Papst Franziskus ja ausdrücklich gelobt wurde, mehr oder weniger direkt widersprechen sollte (wovon auszugehen ist; Kaspers Ideen stehen jedenfalls im krassen Widerspruch zu dem, wie sich Ratzinger die letzten 40 Jahre geäußert hat; zudem hat Kasper, s.o., auch Ratzingers damalige Überlegungen, auf die er sich eigentlich stützen will, durchaus entstellt).
Don't get me wrong: Ich bin gespannt auf das, was Benedikt zu sagen hat. Aber es bereitet mir dennoch Kopfweh...

we will see...

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